Auf den Spuren der Waldenserkirche im Angrogna
ANGROGNA / RECKLINGHAUSEN - In der Geschichte der Waldenserkirche spielte die Region Angrogna nahe der Metropole Turin als Rückzugsort in Zeiten der Verfolgungen eine wichtige Rolle. Ihre Feinde bezeichneten sie als "angrongnini" (dt.: "die aus Angrogna"). Im Jahre 1532 schlossen sich die Waldenser auf der Synode von Chanforan der Reformation an.
Die Fotos zeigen das Wohnhaus der Gruppe und die Kirche nebenan.
Pfarrerin Barbi Kohlhage schreibt:
"Im Zentrum dieses Tages steht die Geschichte der waldensischen Kirche. In der Casa di Valdese, im ethnologischen Museum und der Kirche in Torre Pellice haben wir einen Eindruck davon gewinnen können, mit welchen Widrigkeiten die kleine waldensische Kirche, die in Italien der Federation protestantischer Kirchen angeschlossen ist, von Beginn ihres Entstehens (ca. 1170) über die Jahrhunderte auch als Teil der Reformation bis in die Phase der Freiheit (ab 1848) zu kämpfen hatte.
Zugleich ist es eine eindrückliche Geschichte, in der die Waldenser durch Bedrohung und Vertreibung, Untersagungen und rechtliche Beschränkung immer wieder Wege gefunden haben, ihrem Glauben in aller Bescheidenheit Gehör und Raum zu verschaffen. Das wiederkehrende Motiv, eine Kerze, deren Licht in der Nacht scheint, und ihr biblisches Leitwort aus der Johannesoffenbarung hat sich bis heute bewährt: "Lux lucet in tenebris" (Das Licht leuchtet in der Dunkelheit).
Nachmittags sind wir ins Angrognatal gefahren, um dort an abgelegenem Ort die geheimen oder im Mittelalter verborgenen Formen der Verbreitung und des gemeindlichen Lebens kennenzulernen (Foto: Gruppenbild vor der Barbenschulde in den Bergen, nach langem Aufstieg).
Während im Mittelalter versteckte Höhlen im Gestein der Versammlung dienten und den Barben, den wanderpredigenden "Onkeln", inmitten der Berge Hütten zur Zusammenkunft bereitet wurden, entschieden 1532 ca. 2000 bis 3000 Waldenser nach einer Woche der Diskussion, sich der Reformation anzuschließen.
Wir besuchten überzeugend schlichte waldensische Kapellen trafen an den Hängen auf beschwerliche Agrarwirtschaft, besuchten eine "Ziegenuniversität", d.h. eine von 160 kleinen Schulen, die der Bildung der Kinder dienten und nach 1848 von einem früheren englischen Offizier unterstützt wurden.
Den Nachmittag rundete überraschend ein feines Museum ab, das über die Geschichte der Frauen vor allem in der waldensischen Kirche, aber auch darüber hinaus Auskunft gab." (BK)
Zwischen Problemen, Herausforderungen und Anerkennung
Pfarrerin Maria Bonafede von der Waldensekirche, ihre Vikarin und Pfarrer Bludau von der Lutherischen Kirche in Turin sprachen u.a. zu folgenden 3 Themen:
1. Probleme der Waldensekirche, junge Menschen über die Konfirmation (mit ca. 18 Jahre) hinaus,in der Gemeinde zu halten
2. Das Engagement der Waldenserkirche für Flüchtlinge
3. Der Besuch des Papstes am 22.Juli 2015
Ergänzt wurden die Informationen durch die Erfahrungen und Hinweise von Pfarrer Bludau von der Lutherischen Kirche in Turin, der die Übersetzung ins Deutsche übernahm.
Zu 1.: Frau Bonafede begrüßte die Pfarrkonferenz aus Recklinghausen herzlichst und stellte kurz die Gemeinde in Turin vor. Erschwert ist die Gemeindearbeit nach wie vor dadurch, dass die katholische Kirche Staatskirche ist. Sie hat somit z.B. das Recht den katholischen Religionsunterricht an jeder Schule durchzuführen. Die Pfarrerin, die als erste Frau, das Amt Moderatorinder der Waldenser von sie2005-20012 inne hatte, hob das Problem hervor, jüngere Gemeindeglieder in der Gemeinde halten zu können. Viele verlieren als junge Erwachsene den Kontakt zu Ihrer Gemeinde. Auch weil viele den Wohnort wechselten und sich durch Arbeitsplatz- oder Studienplatzwechsel von den ursprünglichen Gemeindebeziehungen entfernten. Mit verschiedenen Angeboten wie z.B. Gesprächsgruppen in Großstädten, Bibelkreisen oder Kulturangeboten hofft die Waldenserkirche, dieser Entwicklung entgegenwirken zu können. Pfarrerin Bonafede ergänzte, dass dieses Problem sicherlich ähnlich im Kirchenkreis Recklinghausen bekannt ist.
Zu 2.: Das Thema "Arbeit mit Flüchtlingen" nahm einen breiten Raum des Gesprächs ein. Die Waldenserkirche hat 2015 erreicht, dass ein humanitärer Korridor für 1000 Flüchtlinge (für einen Zeitraum von 2 Jahren) aus dem Libanon eingerichtet wurde. Zusammen mit der katholischen Gemeinschaft St. Egidio und anderen Hilfsorganisationen begleitet und betreut die Waldenserkirche ca. 1 Jahr die Flüchtlinge in Italien. Eine Gruppe von Ärzten und Helfern reiste in den Libanon, um zunächst Kranken und Härtefällen die Ausreise zu ermöglichen. Die Versorgung der Flüchtlinge ist eine große Herausforderung. Viele sehen in Deutschland ihr "paradiesisches" Ziel. Die Kirchen können eine Starthilfe leisten und versuchen in Verhandlungen mit der neuen (jetzt wesentlich rechtsextremeren) Regierung einen weiteren Korridor einzurichten.
Die Lutherische Kirche Italiens bemüht sich, den von der Dublin-Gesetzgebung betroffenen Flüchtlingen beizustehen. Viele von ihnen werden aus dem Ausland nach Italien zurückgeschickt, weil sie hier europäischen Boden betreten haben.
In weiteren Berichten wurden Veränderungen des Gemeindelebens durch das Hinzukommen von Flüchtlingen verdeutlicht. Unter dem Motto "Zusammen Gemeinde sein", haben sich viele Waldensergemeinden stark verändert. Ein Prozess, der sich viele weitere Jahre fortsetzen wird.
Zu: 3.: Der Besuch des Papstes (als Kirchen und Staatsoberhaupt) in der Waldenserkirche in Turin bedurfte einer mehrmonatigen Vorbereitung. Die Initiative des Besuchs, zu dem auch die weiteren protestantischen Kirchen Italiens eingeladen wurden., ging von Papst Franziskus aus. Zusätzlich war eine Veranstaltung zu Don Bosco in Turin geplant. Bei seinem erstmaligen Besuch einer Waldenserkirche entschuldigte sich Franziskus im Namen der katholischen Kirche für die Verfolgung der Waldenser, die "unchristlich und unmenschlich" gewesen sei.
Der Besuch hatte besondere Bedeutung für die Bekanntheit der Waldenserkirche und aller protestantischen Kirchen in Italien. Viele Italiener wurden so zum ersten Mal auf diese Kirche aufmerksam. Für die Ökumenischen Beziehungen haben sich seit dem Besuch weitere Türen geöffnet.
Den Ausführungen von Pfarrerin Bonafede und Pfarrer Bludau schlossen sich der Dank der Superintendentin und einige persönliche Gespräche an. Ein Vormittag, der den Besucherinnen und Besuchern einen vielfältig Einblick in das Leben und die Arbeit einer Kirche in der Minderheit vermittelte.
Die Recklinghäuser Pfarrkonferenz lauscht den Erläuterungen von Victoria Munsey Vizepräsidentin CSD unter freiem Himmel
Ilaria Peiretti führt die Gruppe durch das Ostello Villa Olando und die Siebdruck-Werkstatt in Torre Pellice Der junge Ghanaer arbeitet als Schneider in der Nähwerkstatt
Pfr. Helmut Novoczin schreibt:
In Torre Pellice mit Victoria Munsey, Vizepräsidentin der Synodalkommission für Diakonie
Einer unserer Teilnehmer beschrieb die Diakonie mit den Begriffen: "Wahrnehmung aufkommender Nöte" und "kreative Diakonie" als Antwort darauf. Meine Wahrnehmung beider Häuser: sie wirken freundlich, sind an den Bedürfnissen der BewohnerInnen orientiert und liebevoll eingerichtet, was sie unverwechselbar macht. Auch die MitarbeiterInnen haben eine außerordentlich positive Ausstrahlung. Zum Schluss: Fronleichnam ist im katholischen Italien kein Feiertag und scheint zumindest den Waldensern ziemlich fremd zun sein.
Der Moderator der Kichenleitung der waldensischen Kirche, Eugenio Bernardino informiert die deutschen Gäste über die Internationalität vieler Waldenser - Gemeinden und mögliche Themen der nächsten Synode.
Zum Gespräch mit dem Moderator (Vorsitzenden der Synode) Eugenio Bernardini der waldensischen Kirche schreibt Pfr. i.R. Ulrich Gallwitz:
Nach Italien kommen viele Flüchtlinge aus Afrika und anderen Teilen der Welt. Unter den Flüchtlingen besonders aus Westafrika sind viele Christen (Methodisten). Sie kamen zur Kirche, um dort zu beten. So gab es in einigen Kirchen verschiedene Gottesdienste zu unterschiedlichen Zeiten: morgens trafen sich die Waldenser, nachmittags die Christen aus Ghana und abends die von den Philippinen. Viele Flüchtlinge, die schon länger im Land leben, sprechen italienisch. So wurden gemeinsame Gottesdienste eingeführt mit liturgischen Elementen der verschiedenen Kulturen. Dieser Prozess führte zu erheblichen Diskussionen in den Gemeinden. Viele fanden die Veränderungen als zu stark und auch die dauernden Diskussionen ermüdend. Gemeinden sagten: Gebt unserer italienischen Tradition mehr Raum. Die Flüchtlinge hatten Schwierigkeiten mit den vielen Pastorinnen in der Waldenserkirche, da in ihrer Tradition Frauen nicht lehren oder predigen. Das mussten sie lernen. Mittlerweile gibt es Gemeinden, in denen die „Italiener“ in der Minderheit sind. In Neapel haben 120 Mitglieder die Gemeinde verlassen, weil die Schwierigkeiten für sie zu groß waren. Die kath. Kirche und die Baptisten gehen einen anderen Weg. Dort gibt es getrennte Gemeinden, italienische und ausländische.
Bernardini: „Die Gesellschaft ändert sich, warum soll sich die Kirche nicht ändern? Die Gesellschaft ist multikulturell geworden, dies hat natürlich aus Auswirkungen auf die Kirche. Die Waldenserkirche hat drei Pastoren aus Afrika (zwei aus Ghana, einer aus dem Senegal) und einen Pastor aus den Philippinen, der in Italien studiert hat. "Wir befinden uns auf einem langsamen Weg, der 2-3 Generationen dauern kann", hieß es.
In Verhandlungen mit der italienischen Regierung hat die Kirche die Möglichkeit geschaffen, dass 1000 Flüchtlinge auf legalem Weg nach Italien einreisen dürfen (Schaffung eines humanitären Korridors). Die Waldenserkirche kümmert sich um die Flüchtlinge und hilft ihnen, sich in Italien zu integrieren. Er hofft, dass dieses Programm auch unter der neuen Regierung fortgesetzt werden kann. (ug)
Superintendentin Katrin Göckenjan bedankt sich beim Moderator für die Offenheit mit dem "Geheimnis des Kreuzes", links im Bild Amalia Geymet Übersetzerin und ehemalige Deutschlehrerin am Waldenser Gymnasium
Am Nachmittag ging es schweißtreibend in die Berge. Routenplanung ist das A und O einer gelungenen Wanderung.
Die Mühe wurde belohnt mit wunderschönen Ausblicken ins Pellice-Tal
Turin ist eine Reise wert
Maria Bonafeda, (Pfr.in der Waldenser - Gemeinde in Turin), Sophie Langeneck (Vikarin) , Heiner Bludau, (Pfr der Ev. Luth. Kirche in Italien), v. r. n. l.