Der laufende Systemwandel im Gesundheitssystem
Harald Weinberg (53) ist Mitglied des deutschen Bundestages für die Fraktion DIE LINKE, fungiert als deren Obmann im Ausschuss für Gesundheit und war viele Jahre als Bildungsberater tätig. Die Evangelische Akademie Recklinghausen hatte ihn unter dem Titel “Lieber reich und gesund als arm und krank” als Vortragsgast zu den jüngsten gesundheitspolitischen Beschlüssen eingeladen.
“Krankenkassen dürfen kein Fall für das Kartellamt werden. Gesundheit ist keine Ware und Krankenkassen sind keine Unternehmen“, so forderte Harald Weinberg, angesichts der Vorstöße der schwarz-gelben Koalition. „Es besteht die Gefahr, dass die Kassen ihren besonderen Status der Sozialversicherung verlieren und als normale Unternehmen behandelt werden und somit einer umfassenden Privatisierung des gesamten Krankenversicherungssystems und der Zerschlagung der solidarischen Krankenversicherung enormen Vorschub leisten”, formulierte Weinberg. Kassen, die nach dem bisherigen Rechtsstatus zugunsten der Versicherten kooperieren wollten, kämen zukünftig womöglich mit dem Kartellrecht in Konflikt. Denn Kooperation könne bald als verbotene Preisabsprache ausgelegt werden. Weinberg sieht in den neuesten Beschlüssen der Bundesregierung die Öffnung eines weiteren Einfallstores für marktwirtschaftliche Elemente, zur "Kapitalnutzung". Die Privatisierung der gesetzlichen Krankenkassen sei abzulehnen. “Krankenkassen sind keine Unternehmen, sondern Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Das Wettbewerbsrecht darf daher nicht für sie gelten“, sagte Weinberg.
Man müsse mit den “Mythen der Gesundheitspolitik” aufräumen, “die in der Auseinandersetzung gerne von Neoliberalen genutzt werden, um auf Akzeptanz für ihre unsozialen Pläne zu stoßen”. Entgegen der Rede einer 'Kostenexplosion' läge der Anstieg der Gesundheitsausgaben gleichauf mit dem Wirtschaftswachstum. Bei den 'Lohnnebenkosten' machten die Arbeitgeberbeiträge zur Gesetzlichen Krankenkasse gerade in exportabhängigen Wirtschaftszweigen nur knapp 5% der gesamten Arbeitskosten aus und fielen entsprechend mit weniger als 1% bei den Gesamtkosten eines Produktes ins Gewicht. Zur 'demografischen Entwicklung' gehöre, dass der Anteil der gesunden Jahre bei älter werdenden Menschen zunimmt. Das individuelle Risiko einer Krankheit, Behinderung oder Pflegebedürftigkeit sinke jedoch seit Jahren. “Die Menschen werden ja nicht älter, weil sie immer kränker sind, sondern, weil sie in immer höherem Alter immer gesünder sind”, so Weinberg. Der Einfluss des 'technischen Fortschritts' werde bei genauerer Betrachtung auf die gesundheitliche Lage erheblich überschätzt wird. “Bei vielen der Innovationen handelt es sich schlicht um gutes Marketing”, hielt Weinberg dagegen.
Seine Fraktion lehne den von der Regierung verfolgten Systemwandel ab und fordere: “Die Gesetzliche Krankenversicherung muss zur solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung weiterentwickelt werden, in die alle in Deutschland lebenden Menschen entsprechend ihrer gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einzahlen und die Leistungen entsprechend des medizinischen Bedarfs allen gewährt.“
In den Verwaltungsräten der Krankenkassen sind die Arbeitgeber mit der Hälfte der Stimmen vertreten, obwohl sie nur noch zu gut 40 Prozent an deren Finanzierung beteiligt sind und mit dem Problem der neuen Zuzahlungen nichts zu tun hätten. DIE LINKE fordere daher, dass “Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich die Beiträge zur Krankenversicherung wieder paritätisch teilen.“ Mit Grünen und der SPD könne man sich ein gerechtes und solides Finanzierungsmodell, wie es die solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung darstellt, vorstellen.
"Der massive Sozialabbau und die Entsolidarisierung müssen aufhören. Die gleiche Verteilung der Lasten auf Arbeitgeber und Beschäftigte hat sich bewährt. Zusätzlich müssen sämtliche Einkommensarten, auch Kapitaleinkünfte, einbezogen werden.” Alle Bürgerinnen und Bürger am Solidarsystem müssten sich beteiligen, auch die Wohlhabenden. Ein “Gesundheitssystem, in dem alle Menschen eine umfassende Gesundheitsversorgung erhalten”, wäre so finanzierbar, sagte Weinberg.
Der Vortrag von Harald Weinberg steht als pdf-Datei zum Download zur Verfügung.
Text/Bild: hh