In Recklinghausen mit einer Verkaufsfläche von rund 13.700 Quadratmeter arbeiteten zuletzt 93 Beschäftigte bei Karstadt. Das Gros der Beschäftigten fürchtet, auf Dauer arbeitslos zu werden. Seit September 2014 musste Karstadt in der Innenstadt gegen eine harte Konkurrenz ankämpfen. Das nagelneue Palais Vest mit 120 Shops auf 41.700 Quadratmetern zeigt, wie Kundinnen und Kunden überregional angezogen werden sollen.
Im Zuge der Insolvenz des Arcandorkonzerns folgte die Übernahme der Karstadtfilialen durch den österreichischen Investor René Benko im August 2014 mit harten Sanierungsvorgaben. Die Beschäftigten hatten in den Jahren zuvor auf Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und Lohn verzichtet, um sich an der Rettung zu beteiligen.
Dass Schließungen für kleinere Häuser nicht einzige Weg sind, zeigten zuletzt Neumünster, Dessau und Mönchengladbach: In Mönchengladbach baut die Stadt das Gebäude mit einer Millioneninvestition um, um andere Händler anzusiedeln und auf diese Weise zu retten. Der Schließungsplan konnte so abgewendet werden. In Recklinghausen wurde ein anderer Weg eingeschlagen: Als Ersatz für das marode Löhrhofcenter hatte sich die Stadt für die Errichtung des riesigen Palais Vest stark gemacht. Wer als Kunde das Palais Vest besucht und danach direkt Karstadt, fühlt sich zurückversetzt in eine angestaubte Zeit. Karstadt hatte dem dauerhaften Modernisierungsdruck nicht Paroli geboten.
Mit marktschreierischen Discountaktionen hatte Karstadt versucht, die Schnäppchenjäger anzulocken. Dass dabei das traditionelle Image eines hochwertigen Markenkaufhauses Schaden nahm, wurde billigend in Kauf genommen. Das Marketing des Konzerns zerrieb so das eigene Markenprofil des Hauses, das auf diesem Wege nicht mehr genügend Kunden fand. Bei einer schrumpfenden Bevölkerungsentwicklung und schwacher Kaufkraft in der Region hat Karstadt am Ende den Kürzeren gezogen.
Wenn Karstadt in Recklinghausen seine Tore schließt, wird sich das Bild der Innenstadt durch einen weiteren, riesigen Leerstand an zentralster Stelle gravierend negativ verändern. Der lokale Einzelhandel muss sich auf Dauer etwas einfallen lassen, um den Einkauf im Laden attraktiv bleiben zu lassen. Karstadt ist dies in Recklinghausen leider nicht gelungen. Am Ende zahlen die Beschäftigten mit dem Verlust ihrer Arbeitsplätze den Preis und die Besucher der Innenstadt bekommen ihre Quittung, wenn sie ab dem Sommer diesen Jahres vor einem riesigen Leerstand auf dem Marktplatz sitzen dürfen. Für Recklinghausen ist dies eine traurige Entwicklung, für die es nicht leicht sein wird, ein wirksames Gegenrezept zu finden.
„Für uns war Karstadt das Leben, von der Lehre an, bis jetzt.
Viele von uns haben mehr Zeit mit Kollegen verbracht, als mit ihrer Familie.
Das ist schon hart.“
Allen Beschäftigten der Recklinghäuser Filiale wurde angeboten, in die Transfergesellschaft zu gehen, in Recklinghausen wollte dies jedoch niemand. Der Übergang in die Arbeitslosigkeit hätte sich damit lediglich um 4 Monate verschoben. Die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt hätten sich dadurch jedoch nicht grundlegend verbessert.
In sämtlichen von Schliessungen betroffenen Filialen wurde der Belegschaft ein anderer Arbeitsplatz innerhalb des Karstadtkonzerns angeboten, wobei die meisten Arbeitsplätze im süddeutschen Raum liegen. Die wenigsten der gegenwärtig in Recklinghausen beschäftigten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben einen neuen Job, nur 7 von derzeit 93, die meisten werden in die Arbeitslosigkeit gehen.
Sehr positive Erfahrungen habe man in Recklinghausen mit der Unterstützung durch die Agentur für Arbeit gemacht, die mit Beratern direkt in die Karstadtfiliale gekommen seien, um direkt Hilfe zu leisten. Dadurch konnten für viele langjährig Beschäftigte die zu erwartenden Unannehmlichkeiten in der Übergangsphase vermieden werden. Viele der Beschäftigten haben sich vor 40 Jahren bei Karstadt beworben und sind seitdem dort geblieben. Daher wundert es nicht, dass der Altersdurchschnitt in der Filiale in Recklinghausen sehr hoch liegt, nämlich bei 50 Jahren. „Wir haben hier überwiegend sehr lang beschäftigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, beschreibt Karl-Heinz Schneider seine Leute. Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit liegt in Recklinghausen bei 28 bis 29 Jahren. Karstadt verfügt über eine bundesweite interne Stellenbörse. Einzelne planen einen Umzug weit weg vom Ruhrgebiet und gehen nach Süddeutschland, wo sich die modernisierten Karstadtfilialen mit ihrem klassischen Warenhauskonzept gut am Markt schlagen. Inzwischen können Kunden, die im Internet Waren bei Karstadt bestellen, diese in einer frei wählbaren Filiale abholen oder auch nur ansehen. Hier wurde im Kundenservice erfolgreich nachgelegt, wenn auch erst aufgrund des erhöhten Drucks der reinen Internetversandhäuser.
Im Jahr 2009 geriet Karstadt in die Insolvenz; der größte Crash der Wirtschaftsgeschichte in Deutschland nahm seinen Lauf. Immer wieder wechselten die Besitzverhältnisse in der nicht zu stoppenden Krisenchronik bei Karstadt. Jahrelang verzichteten die Beschäftigten auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Erst seitdem die Sanierung mit Warenhausschließungen greift, wird wieder Tariflohn gezahlt, was in der Branche, so Betriebsrat Schneider, immer weniger üblich sei. Im Einzelhandel werde heute überwiegend Mindestlohn gezahlt, also 8,50 Euro. Dies bekämen die Karstadtbeschäftigten bei ihrer Suche nach neuen Jobs nun in schockierender Weise zu spüren. Und kaum ein Betrieb verfüge über einen Betriebsrat. Leiharbeit, Zeitarbeit und 450-Eurojobs seien immer mehr die Regel in der Branche, in der die wenigsten einen Vollzeitvertrag bekämen.
In Recklinghausen musste Karstadt gegen ein neu errichtetes, modernes Shoppingcenter anhalten. In der Karstadtfiliale in Recklinghausen sei es jedoch nie zu größeren Modernisierungsinvestitionen gekommen, bedauert Schneider. Dennoch schmeißt er die Flinte nicht ins Korn: „Meldet uns freie Stellen, damit wir dies weitergeben können. Es sind alles erfahrene Leute. Wir sind dankbar für jede offene Stelle, die man uns anbietet. Dies hat Priorität, damit wir so viele Leute wie möglich unterbringen können.“
Ende Juni soll die Immobilie in Recklinghausen übergeben werden. Ende Mai soll der Verkauf eingestellt werden. Die Flächen werden mehr und mehr geräumt, auch das Inventar wird verkauft. Wie es danach mit dem Gebäude weitergeht, steht in den Sternen; nebulöse Gerüchte sind im Umlauf. „Wenn die Ware weg ist, ist Schluß“, sagt Schneider. „Für uns war Karstadt das Leben, von der Lehre an, bis jetzt. Viele von uns haben mehr Zeit mit Kollegen verbracht, als mit ihrer Familie. Das ist schon hart.“
Mit 56 Jahren wird Karl-Heinz Schneider zukünftig in eine andere Karstadtfiliale ins Rheinland pendeln und neue Aufgaben übernehmen.
Text/Bild: Dr. Hans Hubbertz, Industrie- und Sozialpfarramt