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"Klares Ja zum Staat Israel ist nötig - wie ein Verkehrsschild, das man nicht umdrehen kann!"

Marten Marquardt ist einer der wenigen deutschsprachigen evangelischen Theologen, die die christlichen Kirchen immer wieder öffentlich an die dringend notwendige Erneuerung eines klaren Ja zum Staat Israel erinnern. Er tut dies ausdrücklich mit Blick auf die zeitlichen Bedingungen von Geschichte und Politik, die entsprechende Begrenztheit ihrer Aussagen auf Zeit, Raum und Sprache. Er gehörte viele Jahre lang dem Ausschuss "Christen und Juden" der Evangelischen Kirche im Rheinland an und leitete bis zu seinem Ruhestand die Melanchthon-Akademie.
"Klares Ja zum Staat Israel ist nötig - wie ein Verkehrsschild, das man nicht umdrehen kann!"

Marten Marquardt mit Julia Borries (links), Ev. Erwachsenenbildung und Gerda E.H. Koch, evangelische Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Kreis Recklinghausen e.V.

 

Marquardt ist ein Vertreter der sogenannten „kontextuellen Theologie“. Theologisches Denken ohne diesen Bezug sei „unfruchtbar wie eine taube Nuss“, stellte er eingangs bei seinem Vortrag im Haus des Evangelischen Kirchenkreises klar. Theologische Aussagen über jüdisches Leben heute und über den Staat Israel überhaupt seien nur so zu verantworten und zu reflektieren. 

 

Ausgangspunkt sei von daher zuerst die Selbstanalyse. Mit Hilfe von Fragestellungen wie: „Warum sagst du etwas zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort? Welche absehbaren Konsequenzen erwartest du mit dieser Aussage bei den Adressaten auszulösen?“ würden die Bedingungen von Aussagen wie auch ihre Bedingtheit deutlich.

 

Dies sei aus christlich-theologischer Verantwortung gegenüber dem Zeugnis der Bibel wichtig, nach dem Jesus Jude ist und bleibt und nur auf dem Hintergrund der Hebräischen Bibel verstehbar werde. Es sei auch ethisch unverzichtbar angesichts des 2000jährigen Antijudaismus und insbesondere der unermesslichen Schuld, die die vorangegangene Generation mit der Ermordung von über sechs Millionen Juden auf sich geladen hat, erklärte Marquardt.

 

Ein erstes klares Ja zum Staat Israel aus geschichtlicher Notwendigkeit und theologischer Wahrhaftigkeit habe zuerst die Niederländische Reformierte Kirche im Jahr 1970 formuliert, stellte Marquardt fest. Die Rheinische Kirche sei dieser Linie mit dem „Synodalbeschluss Nr. 37 vom 11. Januar 1978“  gefolgt - "ein Wunder!“, kommentierte Marquardt. Vier Gründe seien dafür genannt worden: „(1) Der Erkenntnis christlicher Mitverantwortung und Schuld an dem Holocaust, der Verfemung, Verfolgung und Ermordung der Juden im Dritten Reich. (2) Neue biblische Einsichten über die bleibende heilgeschichtliche Bedeutung Israels (z.B. Römer 9-11), die im Zusammenhang mit dem Kirchenkampf gewonnen worden sind. (3) Die Einsicht, daß die fortdauernde Existenz des jüdischen Volkes, seine Heimkehr in das Land der Verheißung und auch die Errichtung des Staates Israel Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk sind … (4) Die Bereitschaft von Juden zu Begegnung, gemeinsamem Lernen und Zusammenarbeit trotz des Holocaust.“

 

Die theologische Grundaussage von der Treue Gottes gegenüber seinem jüdischen Volk sei von vorne herein als „eine selbstkritische, auf die Sünde unserer Kirche zielende Spitze“ zu verstehen: „Hier wird Gottes Treue gegen unsere Untreue ins Feld geführt“, so Marquardt. Dies sei ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer neuen Verhältnisbestimmung von Christen und Juden. Denn der Staat Israel als Zufluchtsort der Überlebenden der Schah sei den christlichen Kirchen in den 50er und 60er Jahren noch „keine Erwähnung wert“ gewesen.  Auch der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) habe noch im Jahr 1956 von der „Errichtung des Israeli-Staates“ gesprochen, um sich damit „von der jüdischen Identifizierung mit der biblischen Geschichte zu distanzieren“. 

 

„Unsere Kirche war in ihren öffentlichen Verlautbarungen bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts letzten Endes nur mit sich selbst befasst“, resümierte Marquardt kritisch, „der Staat Israel kam damals nicht vor“. Mit kontextlosen Allgemeinformulierungen habe sie versucht, „das Täter-Opfer-Gefälle“ einfach wegzubügeln und das in der Bibel ausdrücklich betonte Gefälle ‚dem Juden zuerst und dann auch dem Griechen‘ (Römer 1,16) schlichtweg zu verleugnen.

 

Mit ihrem grundsätzlichen Ja zum Staat Israel hätten die Niederländer auf zwei besondere Aspekte der Staatlichkeit Israels hingewiesen. Damit seien „keinerlei Aussagen über die gültigen Grenzen des Staates heute gegeben“, was sich auch nicht aus der Bibel begründen ließe. Die Juden würden zudem auch „keinen ererbten Rechtsanspruch auf dieses Land“ erheben, da Israels Ansiedelung darin „von Anfang an auch Verdrängung und Vertreibung anderer Bewohner und also historische und politische Probleme mit sich gebracht“ hätte, erläuterte Marquardt.

 

Jüngere Überlegungen wie beispielsweise die der niederländischen Theologin Fleeseman-van Leer unterschieden deshalb „zwischen der Rückkehr vieler Juden und ‚Gelobte Land‘ als einem Zeichen der Treue Gottes und der heutigen Realität des Staates als einem politisch und völkerrechtlich zu betrachtenden Problem“, führte Marquardt aus.

 

Die politische Entwicklung seit 1980 habe sich deutlich verändert, stellte Marquardt anhand eines kurzen Überblicks über die jüngere Geschichte bis zur Gegenwart fest. Von daher gebe es „weiteren dringenden Klärungsbedarf“ sowie die „Dringlichkeit neuer Stellungnahmen“ zu der Frage des Verhältnisses zwischen Juden und Christen und „ob sich in oder hinter diesen Entwicklungen die Treue Gottes zu seinem Volk Israel noch erkennen lässt“. 

 

„Die Beschäftigung unserer Kirche mit Israel kann niemals abgeschlossen sein, solange der Messias Israels nicht nicht wieder erschienen ist“, sagte Marquardt mit kritischem Blick auf die Tendenz der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), dieses Thema „abzuschließen“. Das bisherige Schweigen der EKD zur rheinischen Erklärung von 1980 sei als Nichtzustimmung zu dem Grundsatz der „Staatengründung als Zeugnis der Treue Gottes“ zu werten. 

 

Die Entwicklung des Themas in der Rheinischen Kirche seit den 80er Jahren bezeichnete Marquardt als tendenziell „abgesetzt und fortgeschlossen“. Zwar sei zunächst ein eigenes Landespfarramt für christlich jüdischen Dialog im Landeskirchenamt (bis 2010: Studienstelle „Christen und Juden“) eingerichtet und am 11. Januar 1996 eine Änderung der Kirchenordnung mit Ergänzung des Grundartikels herbeigeführt worden, der „die gemeinsame, Juden und Christen verbindende eschatologische Hoffnung betont“. Danach aber sei das Landespfarramt aufgelöst und einem Referenten übergegeben worden, der wiederum zum 1. Januar 2011 in das Ökumenereferat eingegliedert wurde. Der Referent sei im letzten Jahr „zum leitenden Dezernenten für Theologie“ mit mannigfaltigen Aufgaben ernannt worden so dass „die Auseinandersetzung mit dem Staat Israel … nun sichtlich keine besondere Dringlichkeit mehr zu haben“ schien.

 

Die heutige Präses der EKD-Synode Irmgard Schwaetzer aber habe die Bedeutung des Themas wieder in Erinnerung gerufen. Auch Präses Manfred Rekowski habe in der jüngsten Arbeitshilfe der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) angesichts der bevorstehenden Israel-Reise der Kirchenleitung mit dem Vorstand des Landesverbandes Nordrhein der jüdischen Gemeinden zum 70-jährigen Bestehen des Staates Israel ein anderes Zeichen gesendet: „Der 70. Jahrestag der Staatsgründung ist auch für uns … ein Grund zur Mitfreude … Als Christinnen und Christen freuen wir uns gemeinsam mit dem Volk Israel an Gottes Treue“. 

 

„Sie fahren zusammen nach Israel. Da wird die Zukunft wieder heller“, kommentierte Marquardt erfreut und erinnerte:  „Zu unserem Bekenntnis zur Treue Gottes gehört der Staat Israel dazu … das ist wie ein Verkehrsschild, das man nicht umdrehen kann.“ Man könne auch nicht Gottesdienst feiern, „ohne dahin zu sehen“. 

 

Das Zeichen der Treue Gottes sei ein „mächtig in die Weltgeschichte hineingestelltes Fragezeichen Gottes“ (Karl Barth) „hinter unserem menschlichen Tun und Lassen und Unterlassen“, sagte Marquardt und ergänzte: „Wir sollten beide Krümmungen des Fragezeichens der Treue Gottes bedenken - zu Israel und zu den Christen. Unumgänglich. Es ist noch gar nichts entschieden … Wir sind darauf angewiesen, dass Er Zeichen setzt und das Ganze  löst.“ GH