Netzwerke – Nachbarschaften – Sozialräume
Damit ist Dörner einer der wichtigsten Impulsgeber der Psychiatriereform. Heute engagiert er sich für neue Formen der Altenpflege: „Wenn man wirklich will, geht es auch in der Altenpflege mit deutlich weniger Heimplätzen; eine Reduktion um zehn bis dreißig Prozent ist allemal möglich.“ Dies kann erreicht werden durch einen Mix von professionellem und bürgerschaftlichem Engagement.
Solche Bestrebungen können zwar für die großen Sozialträger geschäftsschädigend sein, sie sind aber, auf dem Hintergrund eines dramatisch wachsenden gesellschaftlichen Hilfebedarfs, unverzichtbar. „Wir wachsen hinein in eine Gesellschaft mit dem größten Hilfebedarf der Menschheitsgeschichte“ so Dörner. Neben der Überalterung der Gesellschaft ist ein zusätzliches Problem der deutliche Anstieg chronisch kranker Menschen, der dem Fortschritt der Medizin geschuldet ist.
Seit 1980 sind mehr und mehr Bürger bereit, sich für Fremde zu engagieren. In vielen Bereichen entstanden neue Formen des bürgerschaftlichen Engagements: in Selbsthilfegruppen, in der Hospizbewegung, in Bürgerstiftungen oder in alternativen Wohnprojekten wurden neue Wege bürgerschaftlichen Engagements erprobt. Dabei geht es den Freiwilligen heute weniger um die Ehre oder die Moral. In vielen Gesprächen, die Prof. Dörner mit den freiwillig engagierten Frauen und Männern führt, hört er ganz andere Begründungen. „Es gehört sich so“, sagen viele. „Ich brauche meine Tagesdosis an Bedeutung für andere“ sagen andere. Für manche hat es etwas mit der Gesundheit zu tun: „Ich will gesund bleiben durch angemessene Auslastung; Unterlastung ist ungesund.“
Die meisten engagieren sich in dem nachbarschaftlichen Nahbereich, dem sogenannten dritten Sozialraum. Dieser dritte Sozialraum ist zwischen dem Bereich der Familien einerseits und den kommunalen Strukturen andererseits, angesiedelt. Für das Funktionieren der Familien ist dieser nachbarschaftliche Nahbereich, dieser „Wir-Raum“ wichtig. Familienangehörige können z.B. durch die anstrengende Pflege der hoch betagten Eltern an die Grenzen ihren Kräfte kommen. Dann sind Unterstützungsangebote im nachbarschaftlichen Umfeld wichtig, um die Familien zu stabilisieren und hilfebedürftige Menschen zu integrieren. Die Kirchengemeinden könnten hier eine gute Basis für die Entwicklung solcher nachbarschaftlichen Netzwerke bieten.
Damit ambulante Alternativen zum Heim möglich werden, braucht es nicht nur die „Technik“ und das Know-how der ambulanten Pflegedienste. Es braucht zunehmend mehr die Nähe, die Kreativität und vor allem die Zeit der freiwilligen Helferinnen und Helfer. Ob generationsübergreifende Wohnprojekte, ambulante Wohn-Pflegeprojekte oder Pflegefamilien für Alterspflegebedürftige – viele neue Möglichkeiten werden erprobt. Prof. Dörner ermunterte die Pfarrerschaft: „Wir sind noch in der Experimentierphase. Jeder hat die Chance eine neue Idee dazu zu entwickeln.“
Text: Pfarrerin Gunhild Vestner, Ev. Kirchenkreis Recklinghausen, Telefonseelsorge
Foto: Ulrich Kamien, Ev. Kirchenkreis Recklinghausen, Öffentlichkeitsarbeit